Dampf machen beim Bahnchef
Rheinsberg verhandelt mit Hartmut Mehdorn persönlich über Dampfzug

RHEINSBERG. Selten wurde ein "armer Mann" so fürstlich empfangen wie gestern in Rheinsberg: Am Bahnhof standen Bürgermeister Manfred Richter, der Vorsitzende des "WiR"-Vereins Christian Carstens, eine Mercedes S-Klasse-Limousine (eigens aus Berlin herangeschafft) und Beamte des Bundesgrenzschutzes. Sie alle warteten auf Hartmut Mehdorn, den Chef der Deutschen Bahn AG. Mehdorn war kürzlich mit der Hiobsbotschaft vom Milliardendefizit der Bahn an die Öffentlichkeit gegangen. Der Spitzenmanager und seine Frau unternahmen einen Privatausflug nach Rheinsberg. Und weil Mehdorn noch nie Dampfzug gefahren war, stand er mit auf der Lokomotive. Der Ruf des "armen Mannes, der sparen muss," eilte dem Bahnchef voraus. Carstens hatte ihm in seiner Keramikwerkstatt ein großes Sparschwein töpfern lassen und es mit Pfennigen beklebt: "Da ist etwas Geld drauf, denn er hat ja keins", scherzte Carstens. "Jetzt fehlen ihm nur noch fünf Milliarden", bemerkte Bürgermeister Richter trocken. Unterdessen machte sich eine Bahnangestellte Sorgen um den laufenden Wasserkran: "Jeder Tropfen Wasser kostet Geld! Kann man das nicht abstellen?" Wenn das der Chef wüsste ... Bahnchef Mehdorn kündigte sich durch lautes Heulen der Dampfpfeife an, Minuten, bevor die Lok zu sehen war. Zur planmäßigen Ankunft um 9.47 Uhr setzte Norbert Gast seine Drehorgel in Betrieb. Um 9.50 Uhr hielt das schwarze Dampfross mit dem Konzernlenker an Bord vor dem Empfangskomitee. Ein lachender Hartmut Mehdorn stahl dem Weihnachtsmann die Schau. "Das war nicht nur die letzte Fahrt eines Dampfzuges nach Rheinsberg in diesem Jahr, sondern wahrscheinlich die letzte überhaupt", erklärte Holger Hoppe vom Berliner Verein "Traditionszug" sodann dem Herrn aller Schienen. Zum nächsten Fahrplanwechsel sieht Mehdorns Bahn AG nämlich vor, die Eisenbahnstrecke Herzberg – Löwenberg stillzulegen. Der Dampflok wäre dann der Weg verbaut. Auf der eingleisigen Strecke des Prignitz-Expresses über Velten und Neuruppin nach Rheinsberg ist der Fahrplan so eng gestrickt, dass der mit 80 Kilometern pro Stunde zu langsame Dampfzug nicht dazwischenpasst. Auch im Alltag bringt die Stilllegung Rheinsbergs Bahnbenutzern erhebliche Nachteile, wie Bürgermeister Manfred Richter dem Bahnchef erklärte: "Über Löwenberg sind die Reisenden mit dem Zug in einer Stunde in Berlin an der S-Bahn. Mit dem Prignitz-Express sind die Rheinsberger nach einer Stunde erst in Neuruppin." Carstens, der den Dampfzug für den Tourismus unbedingt erhalten will (gestern fuhr sogar noch eine zweite Dampflok von Neuruppin nach Rheinsberg), lud Mehdorn daraufhin zur Stadtrundfahrt mit seinem Oldtimer ein und erhielt die Zusage, mit ihm persönlich über den Dampfzug und den Erhalt der Strecke verhandeln zu dürfen. "Mehr können wir uns nicht wünschen", zeigte sich Carstens zufrieden. Gegenüber der MAZ bezeichnete Mehdorn Presseberichte als "Quatsch", dass er die Bahn mit Streckenstilllegungen sanieren wolle. Die Bahn werde weiterhin den ländlichen Raum versorgen. Sie könne diese Strecken aber nicht betreiben wie die großen, sondern müsse kleine, dezentrale Eisenbahnen gründen, ähnlich organisiert wie die private "Prignitzer Eisenbahn".
CHRISTIAN KRANZ
(MAZ (Ruppiner Tageblatt), 2000-12-04)


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