Castor der sozialistischen Art
Arbeitsgemeinschaft Rheinberger Bahnhof besitzt Waggon zum Transport alter Brennstäbe

Rheinsberg. Einmal im Jahr wurden die ausgebrannten Brennstäbe aus dem Rheinsberger Kernkraftwerk (KKW) in die Sowjetunion abtransportiert. Der Waggon dafür ist ein Unikat. Was viele nicht wissen: Er steht heute auf dem Gelände der Arbeitsgemeinschaft Rheinsberger Bahnhof.
Von der Straße aus ist der Transportwagen kaum zu sehen. Und auch wer direkt davor steht, würde kaum denken, dass es sich um das DDR-Pendant zu den Castorzügen handelt. Denn auf der Ladefläche steht ein großer Trafo. "Das ist zur Tarnung", sagt Gottfried Koch, zweiter Vorsitzender des Vereins. Der vermeintliche Transformator ist nur eine Hülle. Sie ließ sich in der Mitte auseinanderziehen, sodass der Transportbehälter aufgeladen werden konnte. Anschließend wurde dieser unter der wieder zusammengeschobenen Hülle verborgen. Allein der Container für die Brennelemente wog 120 Tonnen. Um das Gewicht so zu verteilen, dass der Transporter stabil bleibt, verfügt er über zwölf Achsen. Auf jeder lastete ein Druck von 18 Tonnen. Mit Container wog der gesamte Wagen 200 Tonnen. Einmal im Jahr fuhr er von Rheinsberg über Polen in die Sowjetunion. Auf insgesamt 23 Fahrten wurden 672 Brennstäbe abtransportiert. Wohin, wisse niemand, meint Koch. „Wir nehmen an, dass der Atommüll hinterm Ural gelandet ist." Weil in Russland die Abstände zwischen den Schienen acht Zentimeter größer sind als hierzulande, können die Räder von Normal- auf Breitspur umgestellt werden. Da die Fahrt zehn Tage dauerte, wurde für die Mitarbeiter ein Begleitwagen hergestellt. „Er war so ausgelegt, dass bei einer Außentemperatur von 40 Grad unter Null drinnen noch 20 Grad herrschten", so Koch. Der Wagen musste während der gesamten Fahrt autark versorgt werden. Die Eisenbahnfreunde haben noch alte Unterlagen, in denen dem Hersteller die Anforderungen für den Transportwagen und das Begleitfahrzeug geschildert werden. Beinahe wäre der Transportwagen der Nachwelt nicht erhalten geblieben. Er war im Ruhrgebiet, wo er zerlegt werden sollte. Zum Teil war er bereits demontiert. Im letzten Moment sicherten sich die Energiewerke Nord (EWN), die den Rückbau des Kernkraftwerks betreiben, das Unikat. „Die Leute von der EWN sagten: ,Ihr habt ja ein Eisenbahnmuseum.´ Also sponserten sie uns Farbe und den Transport des Wagens. Seit 2001 steht er nun hier", so Koch.
Die wenigsten Passanten wissen, welch gefährliche Fracht unter der Fassade des Trafo-Aufbaus transportiert wurde. Und nur wenige Menschen bewahren und vermitteln noch das Wissen aus diesem Kapitel der Rheinsberger Geschichte. Wer mehr dazu wissen möchte, kann im Eisenbahnmuseum vorbeischauen.
Brian Kehnscherper
(Gransee Zeitung, 2016-06-16)


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