Fauchende Lok und Fans von der Vennbahn
RHEINSBERG. Fotos können dieses Erlebnis nicht wiedergeben: Schon Minuten vorher ist ein langgezogenes Heulen zu hören, dort hinten aus dem Wald. Irgendwo zwischen den Bäumen ist sie, und sie kommt näher. Die Schienen knistern. Noch immer ist nichts zu sehen. Dann steigt schwarzer Rauch auf. Da kommt sie, donnert schnaufend vorbei, eine schwarze Rußfahne hinter sich herschleppend. Mit Dampfloks ist es, als ob sie leben: Sie schnauben und spucken, pfeifen, zischen und fauchen. Für den Heizer Gerd Renner von den Berliner Dampflokfreunden e.V. (werktags fährt er Dieselloks im Güterverkehr) ist die Dampflok der Baureihe 52 mit ihren 1600 PS vor allem ein Kraftwerk. Anders als Dieselloks entfaltet die Dampfmaschine ihre Kraft gleichmäßig. "Sie lebt", sagt Renner, "aber nicht von allein." Dampflokfahren mache Spaß, weil es Teamarbeit ist. In modernen Loks ist man im Führerstand allein. Um den 400 Tonnen wiegenden Zug am Sonnabend und Sonntag mit bis zu 80 Kilometern pro Stunde die 96 Kilometer von Berlin-Lichtenberg zum Bahnhofsfest nach Rheinsberg und wieder zurück zu ziehen, haben der Lokführer Matthias Holm und sein Heizer Gerd Renner in ihrer "Kriegslok" (Baujahr 1944) fünf Tonnen Kohle verbrannt und 30 000 Liter Wasser verdampft. Mit an Bord waren zum 100-jährigen Bestehen der Bahnlinie Löwenberg-Rheinsberg auch Tucholskys "Claire und Wölfchen" – dargestellt von Schauspielern. Von einer echten Claire wurden die Eisenbahnfans aus Belgien nach Rheinsberg chauffiert, wie Norbert Gilles von der Vennbahn aus Raeren betont. Schon zu DDR-Zeiten seien die Belgiendeutschen durch den Kulturaustausch in Zechlinerhütte gewesen. Die hartgesottenen Eisenbahnfans mußten allerdings auf der Straße anreisen. Für die Streckenbenutzung mit ihrer Lok hätte die Bahn AG "eine Summe mit zu vielen Nullen" verlangt, bedauert Gilles. Den Bus samt den Chauffeuren Claire und Josef bekamen die Belgier dagegen gesponsert.
Bei schönstem Wetter war das Fest gut besucht, ohne dass sich die Leute drängeln mussten. Eine entspannte und freundliche Atmosphäre lag über dem Bahnhofsgelände.
Bald konnten Besucher die Züge mit bloßem Ohr unterscheiden: Das heulende Pfeifen der Dampflok, das Hupen der Triebwagen nach Berlin und das Piepsen der Uerdinger Schienenbusse. Die blauen Triebwagen der Prignitzer Eisenbahngesellschaft waren selten so voll wie an diesem Wochenende, als sie auf der ehemaligen Kernkraftwerks-Linie dreimal täglich zum Stechlinsee pendelten.
Eintritt kostete beim Bahnhofsfest nur die historische Ausstellung mit alten Fotos und Zeitungsartikeln zur Geschichte der Eisenbahnstrecke. Sie führte zwischen 1928 und 1945 sogar bis Flecken Zechlin. Allein bis Sonnabend, 16 Uhr, konnte der Heimatverein Rheinsberg 600 Eintrittskarten verkaufen. Auch eine Chronik konnte man erwerben.
Eine besondere Attraktion hatte der Rheinsberger Diplom-Ingenieur Dieter Spielhagen zum Bahnhofsfest auf ein Nebengleis gesetzt: Eine selbst gebaute Draisine, die nicht mit Pedalen, sondern mit Armen und Beinen in Rennruder-Manier bewegt wird. 30 000 Mark hat der Tüftler allein fürs Material in den Prototypen gesteckt, um den Sechssitzer irgenwann mal an die Bahn zu verkaufen. Mit dem Rollgeräusch eines richtigen Eisenbahnwagens und bis zu 60 Stundenkilometern rollt das Gefährt ohne große Anstrengung über die Schienen. Auf der kurzen 400-Meter-Strecke in Rheinsberg brachte Spielhagen es aber nur auf Tempo 40. Auf ein Rennen mit dem VT 928-Triebwagen auf dem Nebengleis hätte Spielhagen es schon gern einmal ankommen lassen. Doch die Startvorbereitungen der Draisine dauerten zu lange. Der feige Triebwagen wartete nicht.
Während viele Berliner abends mit dem Dampfzug heimfuhren, stiegen die Neuruppiner wieder in ihre Autos. Denn vor eine vernünftige Eisenbahn-Verbindung in die Kreisstadt hat die Bahn AG umständliches Umsteigen in Herzberg und den Schienenersatzverkehr gesetzt.
CHRISTIAN KRANZ
(MAZ (Ruppiner Tageblatt), 1999-09-06)