aus: Jahrbuch Ostprignitz-Ruppin 1999
Das 19. Jahrhundert, oft als Jahrhundert der Eisenbahn bezeichnet, ließ durch die Erfindung dieses Transportmittels bald auch die Regionen des Kreises Ruppin näher zusammenrücken.
Das Jahr 1896 brachte dem Städtchen Lindow den Anschluß an das Eisenbahnnetz. Die Löwenberg-Lindower Kleinbahn AG konnte am 10. August den Betrieb aufnehmen, nachdem sie ein Jahr vorher die Baugenehmigung erhalten hatte. Der Verkehr wurde mit zwei Tenderlokomotiven, drei Personenwagen, einem Gepäck- und neun Güterwagen abgewickelt. Haltestellen befanden sich in Löwenberg (Dorf), Grieben, Herzberg und Schönberg.
Die Rheinsberger, die seinerzeit Bedenken äußerten, daß eine Kleinbahn keine vollwertige Eisenbahn wäre, mußten durch ihr Zögern noch drei Jahre länger warten, bis auch dort am 18. Mai 1899 der erste Zug einrollte. Dafür konnten sie aber den Verwaltungssitz in ihre Stadt holen.
Die nun 37 Kilometer lange Bahnlinie erhielt zusätzliche Haltepunkte in Köpernitz und Linde (1901). Die Zahl der Dampfrösser erhöhte sich auf drei, außerdem wurden zwei weitere Personen- und sieben Güterwagen in Dienst gestellt.
Ab 1902 erreichte man auch die Kreisstadt Neuruppin per Zug, nachdem die Ruppiner Kreisbahn bis Herzberg vorgedrungen war. Die ersten Betriebsjahre der Löwenberg-Lindower Kleinbahn verliefen erfolgreich und die Infrastruktur konnte ausgebaut werden: Haltepunkte in Klosterheide (1902) und Dierberg (1904), ein Anschlußgleis zur Kiesgrube bei Rheinsberg (1905), Ausbau von Köpernitz und Grieben zu Bahnhöfen.
Die Umwandlung der Kleinbahn in eine Nebenbahn erfolgte 1907, was einen höheren Ausstattungsgrad der Bahnhöfe voraussetzte. Gleichzeitig aktualisierte die Betreibergesellschaft ihre Bezeichnung und hieß fortan Löwenberg-Lindow-Rheinsberger Eisenbahn.
Bis zum Ersten Weltkrieg verbuchte das Unternehmen ansehnliche Gewinne, verhielt sich in sozialen Belangen aber eher sträubend. So äußerte die Stadt Lindow 1913 die Bitte um Einrichtung der vierten Wagenklasse für schlecht bemittelte Einwohner. Die Eisenbahn lehnte ab, wegen der befürchteten Abwanderung der Reisenden von der dritten in die vierte bzw. der zweiten in die dritte Klasse und damit verbundenen Einnahmeverlusten. Die Kriegsjahre wirkten sich durch höhere Personal- und Sachaufwendungen und durch einen Rückgang des Güterverkehrs, vor allem wegen fehlender Holzsendungen, negativ aus. Daß die Beförderungsqualität in der Nachkriegszeit nicht die beste war, zeigt ein Leserbrief in der "Rheinsberger Zeitung" vom 9. November 1920. Darin entrüstet sich ein Herr, daß seine Frau und er zwischen Rheinsberg und Löwenberg frieren mußten, da die Fenster des Wagens "bei einer Außentemperatur von minus 1 Grad" geöffnet waren, so daß sie "vollständig verklammt und steif gefroren" das Ziel erreichten. Weiter kritisierte er den schmutzigen Zustand der Toilette, die fehlenden Fußdecken im Abteil und die "ungeheuren Fahrpreise". Es sei "unerhört, was man dem Publikum auf dieser Privatbahn alles bietet!"
Angesichts der wirtschaftlichen Lage waren die Eisenbahngesellschaften im Kreis gezwungen, ihre Kräfte zu bündeln. 1921 schloß sich die Rheinsberg-Lindow-Löwenberger der Ruppiner Eisenbahn an, 1923 folgte die Paulinenauer.
Da am nördlichen Rand des Kreises die Eisenbahnlinie Wittstock-Neustrelitz verlief, lag es nahe, über eine Verlängerung der Rheinsberger Strecke nachzudenken. Schon 1903 gab es die Idee einer Verbindung zwischen Eberswalde und dem mecklenburgischen Malchow, über Zehdenick-Gransee-Rheinsberg-Zechlin-Buschoff-Röbel.
Drei Jahre später tauchte in einem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung Rheinsberg eine Streckenführung über Zechlinerhütte auf. Später entstand daraus der Plan, eine Bahnlinie nach Mirow zu bauen und separat über Kagar oder Wallitz zunächst bis Zechlin.
Der Erste Weltkrieg machte diese Vorhaben vorläufig zunichte. Nach dem Ende der Inflation drängte Wittstock darauf, das Eisenbahnprojekt wieder aufzunehmen (hatte allerdings schon 1925 kein Interesse mehr daran). Baubeginn für die 14 Kilometer lange Strecke nach Flecken Zechlin war der 8. April 1926. Der z. T. weiche Untergrund und größere Dammrutsche verzögerten die Inbetriebnahme bis zum 15. Mai 1928. In Linow befand sich ein Warte- und Güterraum. Kagar und Dorf Zechlin teilten sich einen Bahnhof, in Flecken Zechlin hatte man ein Stationsgebäude, einen Lokschuppen mit Wasserstation, zwei Laderampen und einen Portalkran errichtet.
In den 30er Jahren verstärkte sich die Konkurrenz zwischen Eisenbahn und Kraftfahrzeugen, sowohl im Personen- als auch im Frachtverkehr. Die Ruppiner Eisenbahn verzeichnete rückläufige Reisendenzahlen. Ein Grund wurde z. B. in der sozial ungerechten Besteuerung gesehen: "Der Reisende, welcher im Luxusautobus nach Rheinsberg kommt und für seine Fahrt 12,- RM zahlt, ist von der Beförderungsabgabe frei, er hat nur ¾ % Umsatzsteuer entrichtet; wer aber auf Sonntagsrückfahrkarte in der Eisenbahn-Holzklasse für 4,80 RM fährt, hat 11% Steuern abgeführt." (Geschäftsbericht der Ruppiner Eisenbahn 1930)
Zumindest im Sommer ließen sich durch direkte Wochenendzüge von Berlin Stettiner Bahnhof nach Rheinsberg mehr Leute auf die Schiene locken. Zwischen Löwenberg und Zechlin verkehrten 5 ½ Zugpaare; bis Rheinsberg erhöhte man die Streckengeschwindigkeit auf 50 km/h.
Ein schwarzer Tag war der 9. Juli 1938, als sich ein schwerer Unfall ereignete. Die fahrplanmäßige Begegnung eines Triebwagens von Löwenberg und eines Dampfzuges von Zechlin im Bahnhof Rheinsberg wurde wegen einer Verspätung zum Bahnhof Köpernitz verlegt. Da das Personal des Triebwagens darüber jedoch nicht informiert wurde, fuhr es in Köpernitz weiter und stieß in einer Kurve mit dem Zug zusammen. Trotz Notbremsung bohrte sich die Lokomotive zwei Meter in den leichten Triebwagen. Drei Insassen kamen am Unfallort ums Leben, zwei weitere erlagen am folgenden Tag ihren schweren Verletzungen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel der Streckenabschnitt Rheinsberg-Flecken Zechlin den Reparationsleistungen zum Opfer. Durch die Verstaatlichung der Ruppiner Eisenbahn 1950 und die damit einsetzenden Rationalisierungsmaßnahmen wurden kleine Bahnhöfe wie Köpernitz zu Haltepunkten. Günstig für den Eisenbahnverkehr wirkte sich der Bau des Kernkraftwerks und die Eröffnung der Anschlußbahn 1958 aus.
Das Dampfzeitalter ging 1970 mit der Umstellung auf Dieseltraktion zu Ende. Heute ermöglichen Eisenbahnfreunde mehrere Male im Jahr Sonderfahrten mit dampflokbespannten Zügen von Berlin nach Rheinsberg.
Holger Pfeifer
Quellen: