Raus aus Rheinsberg
Höfliche Castor-Gegner feiern aufgelöste Sitzblockade als einen Sieg gegen die Atomkraft

RHEINSBERG. Auf so ´ne Idee wie der Ingenieur Bernd aus Uelzen wär´ der Werner von der "Arbeitsgemeinschaft Rheinsberger Bahnhof e.V." im Leben nicht gekommen – sich aufs Bahngleis zu hocken, wenn der Castor zum Bestimmungsort muss. "Ich hätt´ ja´n Vogel", lacht der 62-jährige Bahnfreund aus Rheinsberg. Klar hat er alles mitgemacht. "Ich hab auch schon mal gedient da unten im Kernkraftwerk – hat Spaß gemacht". Schon wegen der Bananen und der bulgarischen Wurst, die´s im Werkskonsum ´gab, manchmal sogar für Eisenbahner und nicht nur für das elitäre Kraftwerkspersonal, das sich regelmäßig beklagte, wenn die Waggons, die die Belegschaft von Rheinsberg zum Kernkraftwerk transportierten, morgens noch nicht richtig geheizt waren. Aber jetzt, sagt Kernkraftfreund Werner, "ist das Ding nun mal weg. Es hat seine Jahre gebracht, so: Dann geht´s schlafen." Außerdem, pflichtet Werners Kumpel Udo bei, gebe es so was wie "gesunden Egoismus". In diesem Fall natürlich nicht für Greifswalder, aber für Rheinsberger, und das ist entscheidend. "Dit Aufruhr, wat da jetzt existiert", hebt Werner die Stimme und schüttelt den Kopf, "dit is´ alles nur durch den ganzen Zusammenschluss" – wie auch Bernd, der junge Ingenieur aus Uelzen in Niedersachsen. Der Tag gestern hätte für Bernd kaum besser beginnen können: erst Camping am See bei Wustrau, dann Personalienfeststellung durch die Polizei, jedoch keine Festnahme, auch kein Platzverweis. Später, zwischen ein und drei Uhr, Aufbruch in die Dunkelheit. Zuerst Verfolgung durch die Polizei. "Die haben wir aber dann abgehängt", berichtet Bernd. Mit seinen Anti-Castor-Freunden aus allen Teilen (West-) Deutschlands ist er kreuz und quer durchs Ruppiner Land gefahren, zunächst ohne festes Ziel, wie er sagt. Kurz hinter Herzberg haben sie sich dann im Wald versteckt und gewartet. Gegen sechs Uhr sind die 25 Demonstranten schließlich aus ihrer Deckung gekrochen und zu den Gleisen gewandert. Wie auf einem Präsentierteller, über ein Feld, eine Bundesstraße, wieder über ein Feld. Entfernung bis zur Bahnstrecke: knapp zwei Kilometer. In unmittelbarer Nähe: Hunderte von Polizisten, Dutzende von grünen Autos, Mannschaftswagen, Wasserwerfer. "Wir sind einfach gegangen, nicht gelaufen", sagt Bernd. Das Häuflein Castor-Gegner hat sich auch nicht beirren lassen, als ihnen ein Beamter aus einem vorbeifahrenden Wagen zurief, sie sollten anhalten. "Wir sind einfach weiter." Nach knapp 25 Minuten, gegen 6.30Uhr, saßen Bernd und seine Gesinnungsfreunde auf den Gleisen, über die wenig später der 530 Meter lange Zug mit den vier Castorbehältern und den 246 abgebrannten Kernbrennstäben nach Greifswald rollen sollte. Diese eine friedliche Sitzblockade auf den Gleisen bei Grieben zwischen Herz- und Löwenberg war gestern das herausragende Ereignis der Anti-Castor-Bewegung in der Mark. "Wir haben uns gewundert, dass uns das gelang", sagt Bernd, "ich bin stolz, dass wir das geschafft haben." Man habe "lediglich ein Zeichen setzen wollen, dass wir mit einer ganz einfachen, friedlichen Aktion auf die Schienen kommen können – trotz eines riesigen Polizeiaufgebots." Bernd wendet sich zu seinen Gesinnungsfreunden, die, eingekreist von einer Übermacht grün uniformierter Bundesgrenzschutzbeamter, auf den Abtransport in die Gefangenensammelstelle nach Neuruppin warten. Das ist der Preis der Sitzblockade innerhalb der vom Oranienburger Polizeipräsidenten Peter Kirmße verfügten Bannmeile entlang der Bahnschienen. Während Ingenieur Bernd aus Uelzen das Vorgehen der Polizisten gegen die Sitzblockierer als "in Ordnung" lobt, schimpft ein einzelner Demonstrant: "Ein Polizist hat mich grob behandelt und mir Schmerzen zugefügt!" Ein Polizeisprecher auf dem Feld vor den Schienen verspricht, den Fall zu klären, und würdigt, allgemein gesprochen, die "Kooperation" der Anti-Castor-Demonstranten. Man ist reichlich höflich zu einander. Dass sich angeblich fünf militante Castor-Gegner aus der Potsdamer Hausbesetzer-Szene der Stadt Gransee nähern, um die elektrischen Oberleitungen der Bahn mit Hakenkrallen zu beschädigen, stellt sich schließlich als Gerücht heraus. Gegen 7.50 passiert der Castor-Zug gefahrlos die Stelle zwischen Herzberg und Grieben, von der zuvor die Sitzblockierer widerstandslos von den Schienen getragen worden sind. Um 9.15 Uhr überquert der Zug mit den vier je 120 Tonnen schweren Castoren die Grenze zu Mecklenburg. In Rheinsberg kann das 1990 abgeschaltete Kernkraftwerk nun zurückgebaut werden. 2009 soll, wo jetzt Beton ist, wieder Wiese wachsen.
FRANK SCHAUKA
(MAZ, 2001-05-10)


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