Ankunft eines immobilen Mobils
Rheinsbergs Eisenbahnverein ist seit gestern um einen historischen U-Bahn-Wagen reicher
RHEINSBERG. "Kiek ma, der is´ ja Nichtraucher", sagt eine Schaulustige, die sich gestern am frühen Nachmittag am Rheinsberger Bahnhof eingefunden hat. Keinen Menschen meint sie, sondern das neueste Juwel der Arbeitsgemeinschaft Rheinsberger Bahnhof.
Der Vorsitzende des Vereins, Udo Blankenburger, steht derweil erstaunlich entspannt im Schatten des alten Lokschuppens. Anderthalb Stunden eher als erwartet ist soeben ein fast 80 Jahre alter U-Bahn-Wagen eingetroffen. Noch ruht das historische Stück auf der Ladefläche eines Schwertransporters, ein Spezialkran fährt seinen Teleskopausleger aus. Gleich soll das 12,5 Tonnen schwere Vehikel auf sein eigens errichtetes Fundament gehievt werden.
S-Bahn? Rheinsberg? Wie passt das zusammen? Kuriositätenkabinett nennt Udo Blankenburger liebevoll die umfangreiche Sammlung des Vereins, zu der eine beachtliche Gleiskörper-Exposition ebenso gehört wie ein alter Castortransport-Wagen. Na ja, und dann gibt es ja noch Jürgen Graf, den in Berlin lebenden Ehrenbürger der Stadt. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass Rheinsberg seit gestern um eine Attraktion reicher ist. Graf fädelte einen Freundschaftsdienst zwischen zwei guten Bekannten ein - der Mercedes-Benz Niederlassung Berlin, genauer deren Leiter Walter Müller, und eben der Prinzenstadt.
Mercedes-Sprecher Dr. Joachim Ackermann spricht gar von einer engen Verbundenheit. Schließlich gastiere die Kammeroper Schloss Rheinsberg zweimal im Jahr am Berliner Salzufer. „Das ist immer so toll." Deshalb habe gar nicht mehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen, als der Vorschlag kam, den Wagen auf letzte Reise in die Mark zu schicken. Seit Mitte der 80er Jahre befand sich das U-Bahn-Prunkstück in Besitz des Konzerns mit dem Stern. Bis dahin ratterte das Vehikel mit dem gleichen Baujahr wie Jürgen Graf über West-Berliner Gleise.
Dann folgte eine Ära als Empfangs- und Besprechungsraum mit dem gewissen Etwas. Namhafte Mercedes-Kunden haben ihre Autogramme hinterlassen, darunter Harald Juhnke. Sie müssen sich darin wohl gefühlt haben, ist der Wagen doch im Originalzustand erhalten. Verzierte Spiegel, Bistrotische, mit rotbraunem Leder bezogene Sitzbänke und holzvertäfelte Wände versprühen den Charme des alten Berlins. Da darf historische Schultheiss-Werbung ebenso wenig fehlen wie die U-Bahn-Streckenübersicht für den Westteil der einst geteilten Stadt. Kurz vor der Jahrtausendwende war mit der artfremden Nutzung aber
Schluss. Die neue Mercedes-Welt am Salzufer entstand. Die U-Bahn passte konzeptionell nicht mehr dazu und wurde in Tempelhof eingemottet.
Dort schlief sie ihren Dornröschenschlaf - bis sich nun Rheinsberg als dankbarer Abnehmer fand. Mercedes-Benz übernahm die Transportkosten in vierstelliger Höhe. Der Eisenbahnerverein hatte selbst aber noch alle Hände voll zu tun. Aus Betonplatten wurde eine Fahrspur für den Spezialkran verlegt. Nicht minder hart waren aber die Behördengänge. Polizei, Bauamt und diverse Stellen bei der Bahn hatten ein Wörtchen mitzureden, bevor es grünes Licht für den Spezialtransport gab. Kraftfahrer Matthias Zander fand wenig Besonderes daran. Binnen zweieinhalb
Stunden hatte er den Wagen über die Autobahn, Oranienburg und Gransee nach Rheinsberg chauffiert. Geblitzt worden ist er angeblich nicht.
So reibungslos wie der Tranport verlief auch das Abladen. Binnen 15 Minuten war der gelbe Koloss vorn Sattelschlepper auf sein Fundament gehoben - mehr als eine halbe Stunde vor der für 16 Uhr geplanten Ankunft.
Die feierlich Übergabe ist für heute, 11 Uhr, vorgesehen. Dann wird es ein "Fest mit allem Drum und Dran" geben, so Blankenburger. Blasmusik wird spielen, das Museum im Lokschuppen geöffnet sein. Und natürlich darf die nur ein wenig überholungsbedürftige U-Bahn ausgiebig bestaunt werden.
Aus eigener Kraft hätte sie nicht mehr nach Rheinsberg kommen können. Dazu fehlen ihr die inzwischen demontierten Drehgestelle, die allein nochmal 18 Tonnen zusätzlich auf die Waage gebracht hätten. Deswegen ist der Wagen ein immobiles Mobil.
Wofür der Waggon dereinst dienen soll, ist noch nicht abschließend entschieden. Die Ideen sollen dem Vernehmen nach gestern schon gesprudelt sein. Natürlich wird der Eisenbahn-Verein so manches Treffen darin abhalten. Lesungen sind im Gespräch, weitere Ideen willkommen.
Wer mehr über die Arbeitsgemeinschaft Rhemsberger Bahnhof wissen oder gar sein historisches beziehungsweise technisches Interesse einbringen möchte, kann sich unter 0 17 02 13 56 30 melden.
Dietmar Stehr
(Ruppiner Anzeiger, 2006-09-16)